zwischen lichten und verbergen/an heidegger
Nationalmuseum Poznan, Polen
Katalogtext vom Kurator Friedhelm Mennekes
2013

 

Corinna Krebber, geb. in 1963 in Mülheim (Ruhr), lebt und arbeitet in Frankfurt am Main; im alten Eingang des Nationalmuseum zeigt sie ihre Deckeninstallation zwischen lichten und verbergen/an Heidegger (2012), ca. 500 x 1.500 cm, schwarze Klebefolie.

Es sind Arbeiten, die nicht auf eine dauerhafte Präsenz hin angelegt sind. Sie leben im Umfeld des Ephemeren und sind für Passanten bestimmt, für Menschen, die sich bewegen, die vorbeikommen und vorübergehen. Doch die Gestalt des Ungewöhnlichen ist ihnen eigen. Da steht plötzlich etwas an der Decke, ist plötzlich da – wie ein Gedankensplitter, der einem wachen Menschen plötzlich in den Kopf fällt, eine Erinnerung, eine Einsicht im Augenblick, ein Verstehen aus der Memoria – oder ein direktes Bekenntnis der Künstlerin: „Der Prozess des Auskristallisierens von Gedanken in Worte und das Wieder-Verflüssigen der Worte in Gedanken passiert so tief im Verborgenen – und ist doch Ausgangspunkt des Mensch-Seins…”

Solche Welten öffnet die Künstlerin. Sie schreibt sie auf Papier, bringt sie mit dem Schneidemesser behutsam in eine Form – in einer schier endloser Geduld und Hingabe, die an Asien erinnert – oder im Westen an Beginen oder Nonnen des frühen Mittelalters. Da klebt oder schwebt er nun, der Text – wie die Notation auf eine Tafel, ein Gedanke von Spinoza, Kant oder Heidegger. Er wartet auf Zweierlei: erfasst und bedacht zu werden – und auf das Auswischen.

Diese Notationen sind – wo auch immer sie sich einem Menschen in den Blick setzen – nur vorrübergehend sichtbar. Als Kunstwerk haben sie ein Auftreten, eine Bewegung. In  ungewöhnlicher Weise gehen sie geradezu auf den Betrachter zu, sinnlich berührend, begegnend wie etwas Lebendiges, einvernehmend. Klar, dem kann der Mensch ausweichen. Er kann sich dem Anblick entziehen, ihn verflüchtigen. Doch das wird Nachwirkungen haben. Die Notation hat ihre Wirkung auf die Erinnerung und ihre Kraft zur Wiederbegegnung. Sie wollen erfahren sein. Sie stellen sich – liebebewegt, wie Gerhard Altenbourg es einmal einem vergleichbaren Zusammenhang nannte – ganzheitlich, in der Form ebenso wie im Inhalt.

Einverleibendes Lesen ist es, was sich die Künstlerin vom Betrachter erhofft, die Vorstellung, dass er solche lebendigen Worte zu sich nimmt, bedenkt und sich zu eigen macht. Sie begegnen ihm in freigelegten Wort-Ketten, leicht – in alt-handwerklicher Technik aus einer Papierfolie ausgeschnitten – schweben sie über ihm an der Neorenaissancedecke, geradezu unsichtbar miteinander vernetzt. Wie Wolken schweben sie über ihm und strahlen ihren Inhalt aus. Will er diesen auch erfassen, muss er sich schon Mühe machen, nämlich das geweckte Interesse zur Quelle lenken und im gedruckten Buch ergreifen und erarbeiten. An der Decke aber schwebt es nur über ihm, aber betörend, bestechend, berührend – eben wie in einer eindrucksvollen Begegnung.

„Das Wort wird in den Arbeiten von Corinna Krebber zum Raum. Ein Raum, der im Dialog steht mit den – ihrem Inhalt beraubten – Papierbögen, die sich als entleerter Umraum der Worte zu Papierreliefs formieren, die ihre eigene Dynamik entwickeln. Wort- und sprachlos zwar, aber nicht  unberedt“, wie es in der Begründung der Jury des Kunstpreises der Stadt Limburg im Jahre 2009 heißt.

Friedhelm Mennekes SJ; 2013