»unbenannt – oder – fragen an das strömende lob«

Andreas Wörsdörfer
2012

 

Für den Besucher des Klosters Engelthal wird für sechs Wochen die Welt auf den Kopf gestellt. Die Sonne geht im Süden auf und derjenige, der eigentlich über sein Leben sprechen soll, hört tiefe Einsichten aus einem lange zurückliegenden Leben und sieht Gesichter, die vom Leben der anderen sprechen. Die Verhältnisse werden umgekehrt. Aber erst auf den zweiten oder dritten Blick. Doch eins nach dem anderen. Corinna Krebbers dreiteilige Installation bespielt den Raum der Gästekirche des Klosters Engelthal, bzw. den von dort einsehbaren Teil der Klosterkirche.

Ganz einfach macht Corinna Krebber es dem Besucher nicht. Neugierde und Entdeckerlust ist gefragt. Hinter den Türen des Beichtstuhles eine Bild- und Toninstallation. Sehen und Hören, dort wo man traditionsgemäß eigentlich spricht. Auf der einen Seite des Beichtstuhls hört man Texte der Mechthild von Hackeborn, eine zisterziensische Mystikerin aus dem 13. Jh.. Auf der anderen Seite sieht man die Gesichter zum Tode Verurteilter aus den USA in einer Endlosschleife. Der Beichtstuhl – ein heikler Ort. Statt seiner wird in vielen katholischen Kirchen heute häufig ein Beichtraum genutzt. Bei Corinna Krebber gerade die bewusste Konzentration auf den alten Beichtstuhl. Räumliche Enge. Keine andere Möglichkeit der Körperhaltung als das Knien. Extremsituation. Keine Fluchtmöglichkeit – äußerlich wie innerlich. Beichte: Derjenige, der den Beichtstuhl betritt spricht. Sagt etwas aus über sich, sein Innerstes, seine Person. Bei Corinna Krebber aber die Umkehrung all dessen, was man erwartet. Statt zu sprechen hört der Besucher etwas. Statt sich zu offenbaren sieht er die Gesichter anderer. Texte, geflüstert, schnell verklingend. Texte, die Konzentration verlangen, um wahrgenommen zu werden. Bilder in einer Endlosschleife – Gesichter, die sich mehr oder weniger einprägen. Beides ruft im Betrachter innere Bilder, Emotionen wach, konzentriert ihn auf den Moment, auf das hier und jetzt, auf sich selbst. Ohne etwas über sich selbst preis zu geben beschäftigt sich der Eintretende mit sich selbst. Konstruiert das Kunstwerk im Erleben selbst – für sich selbst.

Der dritte Teil der Installation ist derjenige, der am schnellsten zu entdecken ist. Eine Lichtinstallation an der Südwand – der Stirnseite. Ein durch alle Spektralfarben wanderndes helles Objekt. Bewegung. Veränderung der Farben. Wiederum fast unmerklich. Die Installation erschließt sich nicht dem eiligen Besucher. Sie erfordert Aufmerksamkeit, die Bereitschaft sich mitnehmen zu lassen, in die Bewegung des Lichtkörpers. Unweigerlich assoziiert man mit dem hellen Lichtobjekt die Sonne. Sonnenaufgang. Traditionelle Blickrichtung der Besucher eines Gotteshauses. Hin zum Osten. Dieser Blick bleibt den Besuchern der Gästekirche verborgen. Corinna Krebber macht ihn erlebbar.

Corinna Krebber spielt mit großem Respekt mit dem liturgischen Raum und seinen Bedeutungen. Sie setzt ihre Kunst dem auratisch aufgeladenen Raum dieser Klosterkirche aus und schafft etwas, das räumlich erst entdeckt werden muss und dennoch quer zu allen Bedeutungen liegt. In ihrer Arbeit nimmt sie ganz die Tradition und die Atmosphäre des Raumes auf – konterkariert beides aber gleichzeitig. Beide Nutzergruppen der Kirche sind herausgefordert, der Konvent der Benediktinerinnen, wie die Gäste, die die Kirche besuchen.

Verhältnisse werden umgekehrt. Wahrnehmung wird intensiviert. Alls Sinne und Kräfte werden gesammelt. Konzentration, Kontemplation. Die tiefliegende Bedeutung dieses spirituellen Ortes.

zu Corinna Krebber: „unbenannt – oder – fragen an das strömende lob“

Licht-, Ton- und Bildinstallation in der Abtei Kloster Engelthal

Andreas Wörsdörfer, Frankfurt am Main; 2012