Das Künstlerbuch als eigenständige Kunstform
Auszug aus Text von Dr. Viola Hildebrandt-Schad
BuchKunst, 2012
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Wie ein Buch zur Kunst wird und dennoch als Buch funktioniert, wird an den Arbeiten der in Frankfurt am Main lebenden Künstlerin Corinna Krebber deutlich. Ausgangspunkt ist für die Künstlerin ein herkömmliches Kunstbuch. Schon mit der Wahl ihres Materials lässt sie sich auf ein Spiel ein, dass sich zwischen Kunstbuch und Künstlerbuch vollzieht. Schließlich ist das Kunstbuch entgegen einer weitläufigen Auffassung kein Künstlerbuch und mit diesem in keiner Weise zu verwechseln. Während das Kunstbuch sich einem Themenbereich der Kunst zuwendet wie ein literarisches Werk sich einem aus dem Alltag oder der Geschichte gegriffenen Gegenstand und dabei nicht der Gegenstand als solcher, sondern lediglich der Text, der ihn darstellt, zur Literatur wird, bedarf auch das als Künstlerbuch einer zusätzlichen Bearbeitung seines Gegenstandes. Im Falle von Krebber ist dieser nicht die im Buch dargestellte Kunst, sondern das Buch als solches. Diesem wendet sie sich zu, indem sie sämtliche Textteile entfernt. Dazu schneidet sie sorgfältig Zeile für Zeile aus, lässt dabei aber die unbedruckten Abstände stehen. So entsteht eine Gitterstruktur, die zunächst die einzelne Seite, im Weiteren den Buchkörper durchlässig werden lässt. Die Seiten interagieren miteinander, es entstehen neue Beziehungen, die nicht nur in der spürbaren Abfolge, sondern auch über die sich aus den Schnitten ergebenen grafischen Strukturen, die förmlich in den Buchkörper geschnittene Stufung der Papiere erschließt. So machen sich über die einzelne Seite nicht nur die nachfolgenden bemerkbar und können ganze Seitenfolgen auf einen Blick zu erfasst werden, sondern auch der Buchblock wird als gestaltbare Einheit erfahren. Das hat zur Folge, dass auch die sonst beim Betrachten und Lesen einer Seite wahrgenommene Zweidimensionalität dem Bewusstsein um die Dreidimensionalität des Buchkörpers weicht. An die Stelle des Lesens tritt ein Betrachten, die Buchseite öffnet sich und gestaltet sich im Zusammenspiel mit den übrigen zu einem Raum, der auf vielschichtige Weise erfahren werden kann.
Beim Durchmessen dieses Raumes wird förmlich spürbar, dass Texterfassung und vor allem Texterfahrung eine räumliche wie zeitliche Dimension haben. Der Umgang mit Text ist nicht nur geistiger Natur, sondern hat eine ganz konkrete materielle Seite, die sich bei Krebber im Schneiden manifestiert.
Corinna Krebers Umgang mit dem Buch ist von einer grundlegenden Faszination am Gegenstand Buch getragen. Alles, was mit Büchern zu tun hat, Buchsammlungen, wie sie sich in Buchhandlungen und Bibliotheken finden, wirken auf sie stimulierend. So scheint es nur konsequent, dass sie sich dem Buch nicht nur lesend, sondern auch gestaltend zuwendet. Ihre bildkünstlerische Vorgehensweise wird zur sinnlichen Erschließung des Buches in seiner Gesamtheit. Das Buch als Wissensspeicher wird als Objekt erfahren und die herkömmlich mit dem Buch verbundenen, funktionalen Einheiten in Frage gestellt. Text dient nicht mehr der Vermittlung von Inhalten, sondern wird zur gestaltbaren Fläche, die Fläche wiederum zum Raum hin geöffnet.
Die räumliche Erfahrung verbindet sich mit der körperlichen des Schneidens, das die Künstlerin im Gegenzug zum textlichen Erfassen auch als Entschleunigung erlebt. Gleichzeitig ist das Schneiden ein endgültiger Prozess. Ein einmal ausgeführter Schnitt kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Doch das bedingt auch, dass Ausdrucksabsicht und Ausführung viel stärker miteinander verbunden sind als beim Schreiben.
Krebbers Umgang mit dem Buch ist nur ein Beispiel unter vielen für die Entstehung eines Künstlerbuches. Exemplarisch zeigt sich, dass der Buchkünstler formale Ansätze zu inhaltlichen macht. Indem er die Gestalt des Buchkörpers bearbeitet, trifft er inhaltliche Aussagen. Ebenso kann er den Inhalt durch gestalterische Eingriffe verändern oder doch für neue Rezeption sorgen.