zwischen enge und weite
Büsing Palais, Offenbach am Main
Dr. Stefan Soltek, Klingspor Museum, 2013

(english version below)

 

(…) Krebbers Kalkül gilt dem Betrachter wie dem Leser. So wählt sie gezielt Worte, die bestimmte Begrifflichkeiten zur Geltung bringen. WortundSinn, SpracheundBegriff, IdeeundBild, GedankeundForm – alle Kombinationen enthalten ein Allgemeines (Sinn, Begriff, Idee, Gedanke), dem ein Konkretes entspringt (Wort, Sprache, Bild, Form); mehr noch aber geht es der Künstlerin um Entgegnungen der Vorgänge des Bedenkens und Ausformens. Steht Sinn für das Bedenken, dann Wort für eine Ausgestaltung, entsprechend polarisieren die übrigen Paare. Erst eine Lektüre, die so den Hybriden nachliest bildet Grundlage für das allmähliche Umschalten zu einem vertiefetn Besehen der Zeilen – Kognitive und Perspektive umspielen den Dreh-und Angelpunkt zwischen Information und In-Form-Gebrachtem.

Alle vier Zeilen stehen für sich selbst, für einander aber auch für den Ort. Gemeinsam nehmen sie Bezug zu den Einrichtungen der Stadtbibliothek und des Klingspor Museums für Buch- und Schriftkunst und akzentuieren sie im räumlichen Zentrum von Offenbachs Kulturkarree, dem das Palais Ort für Theater, Musik sowie Vorträge bietet. Wie Vorzeichen fassen die Zeilen ein, was vielfältig das kulturelle Leben der Stadt und ihrer sie bewegenden Einrichtungen ist.

Forderte Vitruv vom Architekten unter anderem die Fähigkeit, „schreibgewandt“ zu sein, muss Corinna Krebber attestiert werden, dem in besonderer Weise nachzukommen[1]. Mit ihren Textzeilen hat sie der Gattung der Inschrift eine eigene Version eröffnet, die sich der Architektur nicht erklärend auflegt, sondern zu- und einschreibt. Der äußere Kontext von Bibliothek und Museum ist insofern nachrangig. Es geht nicht um eine Erläuterung  – Name, Datum oder Begebenheit –, sondern darum, das Schriftliche in der Architektur als ihr innewohnende Äußerungsform wirksam zu machen. Kleine Denkmale. Vier Leitlinien ohne Titel, geschriebene Spuren von Zuversicht, zwischen Enge und Weite entstünden Ansprache und Begegnung.

Der gebaute Korpus, der gebundene Korpus, Bauwerk, Buch, Schrift als Implantat und Exklusion – Polarisierende In-Anspruch-Namen von Wortgebilden, die Inhalt und Form kontraktieren. So entsteht eine profilierte Korrespondenz zwischen Ausdrucksweisen in Stein und Papier, Korrespondenz diverser Anberaumungen. Der Blick des Fotografen fokussiert auf die Lesart der Linse, die vorbereitet, was die Ausgabe auf das Papier zwingend macht: die Rückbindung aller Tiefe an die Fläche. Das Verwandtschaftliche des Schriftlichen und seiner stofflichen Bedingung (Putz oder Papier, Wand oder Codex) pointiert das Foto, das seine eigene Auslegung des Begriffes Schriftraum zur Anschauung bringt. Deutlich nivelliert sie die faktischen Gegebenheiten von Staffelung der Baumasse, Reliefbildung der metallenen Zeilen,  und Eintiefung der ins Areal des Buchblocks verorteten Leer-Lettern. Das Fotografische formatiert die Vielfalt im Raum zur Differenziertheit des Nebeneinanders und penetriert das Prinzip der Textur. Was vor Ort das Auge im Gang an Tiefe wahrnimmt, gekontert durch den Querstrich der Zeile, ebnet der Blick durch die Linse ein; doch statt das sie verflacht, modelliert die Szenerie das lesende Sehen zu einem sehenden Lesen – das kehrt sich um, und wieder um… und findet seine Parallele im Part der buchstäblich entleerten, worthaltenden Bücher. So plastisch sie in der Hand liegen, so sinnfällig vor Augen als den Wandzeilen benachbarte Entgegnungen.

 

zwischen enge und weite
Büsing Palais, Offenbach am Main
Dr. Stefan Soltek, Klingspor Museum, 2013

(…) Krebber’s consideration applies to the observer as well as the reader. So she deliberately chooses words which show a specific conceptuality. WortundSinn/WordandSense, SpracheundBegriff /LanguageandTerm, IdeeundBild/IdeaandImage, GedankeundForm/ThoughtandForm – all combinations contain a general (sense, term, idea, thought) that brings forth a concrete (word, language, image, form); but beyond that the artist wants to respond to the processes of deliberation and giving shape. If sense stands for deliberation, then word for the shaping, the other word pairs are equally polarizing.  Only when the hybrids are read is a basis formed for the gradual shift to a deeper look at the lines – cognizance and perspective play around the crucial point between information and the brought-into-shape.

All four lines stand for themselves, for each other but also for the location. Together they refer to the institutions of the City Library and the Klingspor Museum for Book and Type Art, and accentuate them in the spatial center of Offenbach’s ‚Kulturkarree’, the cultural quarter, which the Palais provides with a place for theater, music and lectures. Like prefixes the lines enclose the varied cultural life of the city and its vital institutions.

If Vitruvious demanded that architects should be, among other things, ‚skillful in writing’, then Corinna Krebber must be attested fully meeting this requirement.[1] With her text lines she has introduced her own version of the inscription form, which doesn’t apply itself to architecture as a description, but instead writes towards and into it. It is not about explanation – name, date or occasion -, but about effecting the written inherent in architecture as an expressive form. Small memorials. Four guidelines without titles, written traces of a confidence that between narrowness and width there originates response and encounter.

The constructed corpus, the bound corpus, building, book, type as an implant and exclusion – polarizing calling on word constructions contracting content and form. So originates a profiled correspondence between expression in stone and paper, a correspondence of diverse appointments. The photographer’s view, focused on the variant of his lens, preparing what makes the issue on paper imperative: the binding of all depth to the flat plane.

The relationship of the written and its material prerequisites (plaster or paper, wall or codex), emphasizes the photograph that presents its own interpretation of the term SCHRIFTRAUM / text space. It distinctly levels the factual data of the staggered cubic capacity, the relief formation of the metal letters, and depth of the void-letters located in the areal book block. The photographic formats the diversity of space to a differentiation of coexistence and penetrates the principle of texture. What depth the eye perceives on location in the passage, countered by the horizontal bar of the text line, the view through the lens levels out; but instead of being flattened, the scene remodels the reading seeing to a seeing reading – it is turned around, and again around —and finds its parallel in the role of the literally emptied, word-holding books. As  material as they lie in the hand, they are evident before the eyes as responses to the lines on the wall.