Schrift_Kunst_Werk
Ausstellungsbesprechung in “Die Drei”, 2010
Ute Hallaschka

 

„…Die Arbeiten von Corinna Krebber muss man sehen, denn sie sind Vorstellungswerke – man kann dann begriffsstutzig davorstehen und sich fragen: was fange ich an mit diesem bildgewordenen Paradoxon? In ihren Werken wird der Schriftraum zum Weltraum und das stellt buchstäblich alles auf den Kopf.

Konkret zu sehen ist: Papier. Stapel. Ausgeschnittene Buchstaben. Schrift. Bänder. Schrift. Verkeilt, vernetzt, verschlungen. Schnitt. Wunden in offenen Büchern, die das Ausgeschnittene zeigen. Ausschnitt. Innen ist außen. Schnittstelle.

Die Biographie der Künstlerin spiegelt diesen Vorgang. Zunächst wollte sie Lehrerin werden, dann entdeckte sie in sich ein Gestaltungsanliegen dem Raum gegenüber, das zum Architekturstudium führte. Aber wiederum lag etwas brach in dieser mehr technischen Auseinandersetzung mit dem Räumlichen, was sie weiter führte zum Kunststudium an der Alanus Hochschule. Hier kam sie schließlich eines Tages auf die famose und merkwürdige Idee ( sich) nach dem konkreten Raum hinter der Schrift zu fragen. Das, was wir Texten gegenüber oft unwillkürlich tun, wenn es um Einsicht geht – uns fragen: was steckt dahinter? – das hat Corinna Krebber wörtlich genommen und untersucht, indem sie den Text schlichtweg herausgeschnitten hat aus einem Buch. Schon die Vorstellung dieser literarischen Chirurgie erweckt ein leises Unbehagen bis Grausen – eine Flut von Assoziationen wird freigesetzt. Bücher mutwillig zerstören, Schrift vernichten, das, was als anhaltende Bewegung die Kulturentwicklung ausmacht, das, was heute sowieso gefährdet scheint und ersetzbar durch elektronische Darstellung…wer die Assoziationsflut aufhält, kann weiter gehen. Kann sehen, wie die ausgeschnittenen Leerräume eine eigene Faszination entwickeln. Da, wo einmal die Textzeilen waren, mit ihren Gliederungen und Absätzen, mit der Druckgestalt, da liegen nun verschiedene Formen der Leere, übereinander lappend sorgen sie für ein fragiles Scherenschnittgebilde plastischer Natur. Und wahrhaftig, bereits im Werkstadium der Druckschrift ergibt sich tatsächlich sichtbar eine Umstülpung des Raumes. Es ist eine Erfahrung wie man sie in Gebäuderuinen machen kann, wenn der blaue Himmel durch leere Fenster gesehen, plötzlich zum Innenraum zu werden scheint. Ähnliches ereignet sich hier, in der Leere des Schriftraums. Eine Bewegung, die stark seelisch pulst, ausdehnt und zusammenzieht. Wer jetzt wieder den Sog der Faszination aufhält, kann weiter gehen. So wie die Künstlerin weiterging, im nächsten Schritt, von der Druckschrift zur Handschrift. Tatsächlich hat sie sich der unvorstellbaren Prozedur unterzogen meterlange Papierschlangen, minutiös der Schriftbewegung folgend, auszuschneiden. In diesen fließenden Schriftbändern kehrt sich das Schnittwesen selbst um und wird statt Teil zu einem neuen Ganzen. Der >Abfall < der Materie, das Ausgeschnittene wird so zum Kunstwerk erhoben. Die zarten Papiergebilde, sogenannte Gedankenschnüre werden selbst zur Rauminstallation gestaltet. Da hängt nun dieses unglaublich fragile Netzwerk frei im Raum und nun, wo wir soweit gegangen sind, setzen die Schriftzüge in ihrer Verletztbarkeit nicht länger Assoziationen, sondern Imaginationen frei. Eine Hängematte des Geistes, eine Blüte, ein Organismus aus  dem anschaulichen Ineinander von Menschengeist und Handwerk gewebt. Eine Inschrift der Seele.

Es ist sehr schön, was Corinna Krebber tut, denn sie heilt die Schnittstelle selbst. Gewöhnlich erscheint Schnittkunst heute im Künstlerischen als lebensfeindliches Prinzip, es entspricht nicht dem Auge, seiner inneren Bildung und Art, was die Clip Technik in immer rasenderem Tempo entwickelt. Dagegen entwirft Corinna Krebber in der unfassbaren Geduld der Prozesse ein Bild des Lebens. Wie ein Einschnitt, ähnlich wie im Vegetativen, eine Entbindung neuer schöpferischer Formen sein kann, die in der Naturgestalt ruhen als ihr eigenes Entwicklungspotential. Die eigenwilligen, sprechenden Schriftbilder von Corinna Krebber spielen an der Schwelle zwischen Imagination und Inspiration.“ Auszug aus: Ute Hallaschka in: Die Drei, 2010