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Ausstellung im Klingspor-Museum; 2009
Auszug aus Katalogtext zur Ausstellung
Dr. Stefan Soltek, Offenbach am Main
„…Fläche und Raum zeichnen sich in ihren Installationen als Kritereien Rhythmus schaffender Anordnung ab. Schrift als Interim, das den Blick und die Reflexion des sich Nähernden in Schwingung versetzt – das kann als übergreifende Wirkweise gelten.
Eine beträchtlich weite Fläche als Ausgangsgrund für eine Schriftfigur – einzelnes Wort oder Wortfolge – gibt der Aussage Umfeld genug, um die Wahrnehmung aus gewohntem Zeitmaß von Schriftaneignung zu lösen. Was geschrieben ist, steht nicht schwarz auf Weiß. Es ist zumeist ausgeschnitten. Statt Gewissheit, die getrost nach Hause mitgenommen werden könnte, wie es sich der Student im Faust vorstellt, herrscht Leere, die der Betrachter um seine Übung: zu lesen, aufzufüllen hat.
Von einer Raumschicht durchdringt der Leser, Wort für Wort, die papierene Grenzwand zur nächsten Schicht, in die er sich ein-, besser: hinüberliest. Ob in den “Leerstellen” oder “Kreuzgangängen” – der durch die Teile den ganzen Raum Aufsuchende, sich hinter dem abgeschrittenen und (hin)durchgelesenen Papier zum nächsten Vorblätternde durchmisst “die Zeit…, als ob sie eine andere Art von Raum wäre: eine Reihe von homogenen, nebeneinander angeordneten Abschnitten”, eine Parzellierung von Dauer, die deswegen ermeßbar wird. Die uralte Figur des Kreuz-Gangs und des Lesens im Schreiten durch das jochweise rhythmisierte Geviert formt sich Corinna Krebber zu ihrem LeseRaumbild um.
Körper und Stimme verleiht die Schrift dem stummen Gedanken – das berühmte Wort Schillers aus seinem Lehrgedicht “Der Spaziergang” (1795), das der Freiheit des Geistes zumißt, sich im Raum der Natur gewahr zu werden, setzt Corinna Krebber auf ihre kühl den Raum strukturierende, durchgestaltende Art um. Dabei macht sie sich ihr Studium der Architektur zunutze, nicht nur den Blick für Raumwirkung an sich, sondern auch das Verhältnis der Schrift zum Raum. Dazu paßt die Schreibweise in eng laufenden Versalien. Markant sind sie weniger dank kunstfertig gewählter Kontur und Binnengestalt. Gerade ihre unprätentiöse Schreibweise läßt umso deutlicher die Wahl und die Akzentuierung des Ortes hervortreten. Schnitt der Schrift ist Einschnitt in die Umgebung, schafft Durchsicht und ein Einsehen in die Grenze der umfassenden Erkenntnis. Alltägliches Material, weißes Papier, einfache Schneidetechnik für einfache Schrifterscheinung gewinnt Anteil am sicheren Gespür, das die Inszenierung dem Raum zukommen läßt.
Anders verfährt sie, wenn sie statt des typografisch orientierten Versal-Schnitts die Technik der Handschrift wählt. Dann vollführt sie – wiederum mit dem Messer – ein auf- und abkurvendes Umrunden der sich nahtlos aneinanderschließenden Gemeinen. Vom Stakkato einzelner Lettern unterschiedet sich das Legato der vorwärtsschlängelnden Schriftfigur. Die hinterläßt eine permanente Entgegenung von Ausgeformtem und Wegfallendem, von Randerscheinung und gerändertem Korpus und provoziert so die Lesefähigkeit des Betrachters. Der kann nicht mehr aus der Ebene des Hinschauenden das im Wort Durchscheinende erkennen, sondern muß sich nun der Anmutung des Schriftlichen überlassen, das ihm die Lektüre wortwörtlich zum optischen Stammeln gerinnen läßt. Worum geht es? Worum schneidet das Messer? Um Begriffe des Erkennens, Wahrnehmens. Aussagen von Spinoza und Wittgenstein assimiliert und überführt sie in ein schöpferisches Lesen, das seine Bereitschaft zum Dialog sichtbar in Form bringt. Klarheit und Deutlichkeit verlangt Spinoza von der Darstellung einer Gegebenheit, Kongruenz zwischen Ding und Abbild. Krebber umspielt die Forderung mit ihrer Art, den Raum der Betrachtung zu erweitern. Die Codierung zur geraden Schriftzeile löst sie auf. Unmittelbar überträgt sie den Denkvorgang in den Verwindungen des Gehirns in spiralige Auswüchse. Es ist, als verselbständige Corinna Krebber die alte Figur des Spruchbandes vom Sprecher; wie sich der Gedanke löst, um weiter bedacht zu werden, wie sich dabei Worte in die eingerollten Tiefstellen des flatternd gedrehten Bandes verbergen, um die Assoziationskraft des Rezipienten zu stimulieren, verstärkt die Künstlerin die Wirkung: irritiert die Trennlinie zwischen gleichweißem Spruchband und Umfeld, irritiert Schrift tragende und Schrift bildende Form, verschleift Lesen und Entziffern, Lektüre und Betrachtung – schneidet das Papier zu Worte-ins-End-Lose mäandrierenden Spänen. Mit den Augen verkosten, was der Verstand nicht nur abschnittweise zu fassen vermag. Weil alles, was Corinna Krebber zu Lesen gibt, mehr als nur den linearen Nachvollzug der Augen verlangt, sondern vielmehr ein Nachgehen und -spüren mit allen Sinnen, wird das geschriebene zum dargebotenen Wort, wird zu Anmutung und Ahnung geweitet.
Im Klingspor Museum präsentiert die Künstlerin neben den beiden beschriebenen Weisen des Raum teilenden und Raum auswölbenden Schreibens eine dritte Verfahrensweise. In zahllosen Schichten zugeschnittener Flächen weißen Papiers häufen sich die Lettern des Wortes ZWEIFEL auf. Kniehoch aufgetürmt stellt sich der Begriff in den Weg und besetzt den Raum. Absehbar, dass im Vorüberschreiten der Luftstrom einzelne Worten-Schichten abtragen wird.
Die Eigentümlichkeit des Begriffs sieht sie in seiner Isolierung, die fortschreitet insofern, jeder der vereinzelten Buchstaben wiederum – gleichsam angezweifelt – in einzelne Schichten aufgelöst gleichwohl an Bedeutung eher zunimmt denn verliert. Der Zweifel, der sich begrifflich verflüchtigt, wiegt umso schwerer. In Corinna Krebbers Suchvorgängen spielt er zwangsläufig eine große Rolle, hinterfragt sie ja pointiert bei aller stilisierenden Inszenierung von Begrifflichkeit deren Gütigkeit umso eindringlicher. Es ist jene Methode, die Descartes zur Verifizierung von Gegebenheiten anwendet. Zweifel hegend, scheidet er so lange aus, was ihm bezweifelbar scheint, bis, das Gültige herauskristallisiert ist. Schichtweise füllt Corinna Krebber den Raum mit der Geschichte ihres Zweiflens. Gerade deshalb ist ihr das darin enthaltene Wort ZIEL als wesentliches Merkmal einbeschrieben.
Dass das Schreiben nicht nur die Leichtigkeit der Federführung mittels dreier Finger bedürfe, begründete Martin Luther auf eine Weise, die dem Verfassen ebenso wie dem Ermessen der Schrifträume und -figuren Corinna Krebbers gerecht wird: “ganz Leib und Seele arbeiten dran”.